Position 15 Grad 48 Minuten N
46 Grad 22 Minuten W
Wetter : leicht bewölkt
Wind NO 4-5 , Seegang 3 Meter
Eine gar nicht so herrliche Nacht auf See : White Squalls im Passat
„Und wieder beginnt ein herrlicher Tag auf See.“ Irgendeiner kommt
garantiert mit diesem Schnack, und recht hat er: Es ist noch nicht heiß, die
Sonne beginnt den Horizont erst pastellblau, dann rosa bis glutrot zu färben.
Wieder ein Sonnenaufgang, den Caspar David Friedrich sich geschämt hätte, zu
malen. So kitschig schön. Das erste Licht des neuen Tages verleiht den
Passatwolken eine ungeheuer präzise Plastizität. Der erste Kaffee in der Mug
dampft, wir unterhalten uns entspannt über Gott und die Welt. Wegen solcher
Momente fahren wir mit der Luv zur See.
Heute Nacht dagegen hätte sich die Crew wohl liebend gern an Land
gewünscht. Zweimal fallen die gefürchteten „Whith Squalls“ über die Luv her.
Aus buchstäblich heiterem Himmel hämmern unglaublich harte Böen in die Segel.
Das Tuch schlägt knallend gegen das Rigg, Leinen peitschen gegen Mast und Baum
und Deck. Eben noch war leises Segeln unter Spinnaker in vergleichsweise
ruhiger See. Jetzt ist die Hölle los. Den ersten Squall wettert die Wache noch
mit einigem Aufwand allein ab. Dann geht nichts mehr. Die Luv hat zu viel Tuch
oben. Der Sturm fährt in den Spi, das Schiff legt sich auf die Seite, läuft
vollständig aus dem Kurs, der Mast berührt fast das aufgepeitschte Wasser.
Gegen solche Kräfte ist Arne am Ruder machtlos. Selbst „Hart Backbord“ hat null
Wirkung. Sonnenschuß! Vor Mastbruch und Untergang DER Gau der Seesegelei. Was
heißt hier Sonnenschuß? Noch nicht mal der Mond scheint. Die Sterne über
dichter Wolkendecke geben heute Nacht kein Licht. Bei all dem Lärm, dem sich
wild bewegendem Schiff, dem Chaos rundherum, auch noch vollkommene Blindheit.
Die vier Mann von der Freiwache sind aus ihren Kojen gefallen,
erscheinen rasch an Deck und packen mit an. Die erste Maßnahme: Der Spinnaker
muß runter. Um jeden Preis. Till und Basti, die jüngsten und fittesten, müssen
aufs Vorschiff. Angeschnallt natürlich. Das Manöver gelingt reibungslos trotz
der Widrigkeiten. Jeder in der Crew kennt seinen Platz, beherrscht seine
Handgriffe auch im Dustern. Es bedarf keiner Kommandos – die hätte bei dem Lärm
auch niemand gehört. Als das riesige Tuch unten ist, herrscht Ruhe. Der Wind
ist zwar noch schnell, passt aber wieder zur Besegelung. Die Luv gehorcht dem
Ruder. Die Freiwache geht wieder pennen. Routine.
Tagsüber sind die Hammerböen schon von weitem zu erkennen. Dunkle Wolken
ballen sich zusammen, verdichten sich zu einem räumlich kleinen aber ungeheuer
energiereichen Tiefdrucksystem. Rollt es von hinten mit dem Passat heran,
künden die großen weißen Schaumkronen von der schnellen Luft. Es bleibt Zeit,
die Segel zu reffen.
Also schauen wir regelmäßig achteraus. Keine weißen Böen in Sicht. Dafür
die Bella Vela, eine große Swan, wir haben sie in der Nacht überholt. Weil wir
mit Spi gesegelt sind. Und die nicht.
Soviel zur Frage, warum wir das Risiko eingegangen sind. Die Luv ist in
einer Regatta.
Heiko Tornow