Position
15 Grad 31 Minuten N
49
Grad 19 Minuten W
Wetter
: sternenklare Nacht, kein Mond
Wind
NO 4-5 , Seegang 2-3 Meter
„Und
was macht Ihr, wenn einer von Euch Nachts über Bord geht?“
Eine
immer wieder gern gestellte Frage. Einer von uns geht also über
Bord? Michael darf das auf keinen Fall sein. Er am allerwenigsten.
Ohne ihn wäre die Luv fahruntüchtig. Außer Michael weiß niemand,
wo was in den 87000 Schapps und Schränken, Schubladen und sonstigen
Behältnissen der Yacht verstaut ist. „Michael! Wo ist mein
Sonnenhut?“ Michael weiß nicht nur, wo das Utensil sich gerade mal
wieder versteckt hat, er holt es auch und übergibt es:“Bitte
sehr.“ Michael ist der gute Geist der Mannschaft. Er hat den Kaffee
schon fertig, bevor nach ihm gefragt wird. Er schafft Ordnung im
Chaos unter Deck, eine ganz besondere Dauerleistung. Michael versinkt
also nicht.
Till
schon gar nicht. Der junge Tischler ist geschätzt als Reparateur von
allen möglichen Sachen. Den Rudi hat er wieder hingekriegt, unsere
Selbststeueranlage. Auch die Klotür schließt wieder. Man stelle
sich vor, sie stünde immer auf. Und außerdem: Wen kam man jederzeit
aus seiner Freiwache an Deck rufen, wenn Not am Mann ist. Till ist
aus tiefstem Schlaf sofort da:“Was liegt an? Was kann ich tun?“
So einen brauchen wir. Unbedingt.
Eggert?
Der fällt sowieso nicht über Bord. Der Boots- und Wachführer weiß
nämlich, wie man das vermeidet. Eggert weiß alles. Nachts erklärt
der gelernte Physiker, was das Weltall im Innersten zusammenhält
(„Es hält gar nicht zusammen, es dehnt sich mit wachsender
Geschwindigkeit aus.“) und tagsüber tüftelt er erfolgreich
Regatta-strategisches am Computer aus. Eggert ist der einzige an
Bord, der sich mit unserer Satellitenkommunikationsanlage auskennt.
Ohne ihn kein Wetterbericht. Ohne ihn keine Information darüber,
dass wir gegenwärtig ganz vorn liegen in der Wettfahrt von Las
Palmas nach St. Lucia.
Basti
geht schon allein deshalb nicht über Bord, weil er sich immer und
überall anschnallt. Der gelernte Rettungsmediziner ist da
konsequentes Vorbild für die Nachlässigen an Bord: „Heiko, geh
runter und leg deine Rettungsweste an.“ Als Vorschiffsmann ist er
gemeinsam mit Till dafür verantwortlich dafür, dass die Manöver
klappen. Sie klappen. Verlässlich.
Claus,
der erfahrene, ruhige, wortkarge Seemann ist auch so einer , um den
uns jede Crew beneidet. Er kann alles, tut alles. Präzises Steuern,
freiwillige Backschaft, tolles Labskaus kochen, Leinen mit neuen
Taklings versehen, ständig den richtigen Trimm der Segel im Blick.
Nein, den Claus müssen wir auch von der Liste streichen.
Dann
ist da noch Arne, der zweite Wachführer der Luv. Der ist schon mal
nachts über Bord gegangen, eben gerade vor ein paar Tagen. Im Hafen
von Mindelow sieht er, wie ein Stegnachbar, ein besoffener Engländer,
zwischen sein Schiff und den Steg fällt. Entweder, der wird gleich
zu Tode gequetscht oder er ersäuft. Die kritische Situation erkennen
und sofort handeln, ist eins. Mit gewaltigem Satz springt Arne zur
Rettungstat von Bord – und landet erst einmal im Wasser, Handy in
der Tasche, Schienbein lädiert. Darum kümmert sich der St.
Pauli-Fan erst, nachdem der Engländer aus dem Wasser gezogen ist.
Auf
Arne also können wir nicht verzichten.
Bleibt
der Autor dieser Zeilen. Auch der muss nicht ins Wasser. Wer sollte
sonst über so ein Unglück berichten? Und außerdem allein die
Vorstellung: Allein im Ozean, 4500 Meter Wasser unter den Füßen,
das schwankende Hecklicht der Luv entfernt sich immer weiter, Haie
vielleicht. Gruselige Vorstellung. Wir lassen das mit dem Mann über
Bord.
Heiko Tornow