Position
15 Grad 08 Minuten N
55
Grad 20 Minuten W
Wetter
: sternenklare Nacht, kein Mond
Wind
ONO 4 , Seegang 3 Meter,
Gefahr
von White Squalls
Kein
Krönchen für den Spitzenreiter
Noch
330 Seemeilen bis St. Lucia. Nur noch 330 Meilen! Wir haben den
möglichen Sieg in dem Seerennen der Atlantic Rallye für Cruisers
(ARC) unmittelbar vor Augen. Der Abstand zu unseren beiden engsten
Verfolgern, der amerikanischen Swan 53 „Bela Vela“ und der
dänischen X-442 „Mathilde“, wächst seit Tagen; langsam zwar,
aber stetig. Der „Racetracker“, das Internetprogramm, das
Position, Kurs und Geschwindigkeit aller 47 auf den Cap Verdischen
Inseln gestarteten Yachten in Echtzeit darstellt, notiert die Luv
von Anfang an nur auf dem Platz zwei. Aber das ist Unsinn. Die
„Viking“ aus England ist ganze drei Tage vor allen anderen Booten
allein auf die 2080 Meilen lange Reise in die Karibik gegangen,
selbstverständlich außer Konkurrenz. Warum der Computer diesen
Frühstarter gleichwohl als Teilnehmer führt und noch dazu in seiner
Grafik mit dem Krönchen des Spitzenreiters schmückt, die
Auszeichnung, die allein der Luv gebührt, bleibt ein wirres
Geheimnis. Computerprogramme können so dämlich sein.
Jeder
Fußballfan weiß: Ein Spiel dauert 90 Minuten. Plus Nachspielzeit.
Und in keiner Minute werden so viele Tore geschossen, gehen so viele
Spiele verloren wie in der neunzigsten. Regattaseglern kann es
ähnlich gehen. Da schippert das führende Boot weit vor dem Feld bis
kurz vors Ziel. Dann stirbt der Wind, es „liegt im Öl“. Die
Flaute aber wirkt nur für den Ersten. Die anderen haben noch eine
Brise, bleiben in Fahrt und segeln an dem Favoriten vorbei.
Tausendfach passiert.
Es
gibt andere Gefahren. Bei der Hochseesegelei kann es immer mal zu
einer Havarie kommen: das Segel zerreißt, der Mast kommt von oben,
das Ruder bricht. Uns flog in der vergangenen Nacht der Spinnaker
davon. Eine der gefürchteten Hammerböen, ein „White Squall“
überfällt die Luv von hinten, boxt in Groß- und Vorsegel, drückt
das Schiff auf die See. Die Wache wirft die Schoten los, damit der
Druck aus den Segeln genommen wird. Der große Spinnaker schüttelt
und schlägt so wild und heftig, dass sich die Spezialschäkel lösen,
mit denen die Schoten an den Spi-Enden befestigt sind. Der Spi fliegt
frei vor dem Mast, oben am Top nur noch vom Fall gehalten.
Um
über eine lange und anstrengende Aktion kurz zu berihten:Irgendwie
können wir das teure Stück bergen und schließlich auch wieder
setzen.
Das
hätte auch gründlich schief gehen können. Dreimal sind wir jetzt
durch die Sqalls in überaus kritische Lagen geraten. Wir beschließen
für die letzten beiden dunklen Nächte, kein Risiko mehr einzugehen.
Beim kleinsten Anzeichen eines „White Squalls“ werden wir den
Spinnaker sofort wegnehmen. Das bedeutet für die Freiwache ständige
Bereitschaft, Schwimmweste und Sicherheitsgurt in Reichweite. Auf
ersten Zuruf müssen alle Mann an Deck. An ruhigen Schlaf ist nicht
mehr zu denken.
Ohne
das große Vorsegel sind wir natürlich deutlich langsamer. Wir
riskieren nun nicht mehr Segel und Schiff aber unseren Vorsprung.
Sei`s
drum.
Heiko
Tornow