Position 15 Grad 35
Minuten N
58 Grad 4408 Minuten W
Wetter : bedeckt.,
Neumond, die in der Nähe der Kurszahl liegt
Wind O 4 Bft , Seegang
3-4 Meter,
Schauerböen bis 7 Bft.
Vom Steuern mit dem
scheinbaren Wind
Die letzte Nacht. Morgen
Nachmittag segelt die Luv über die Ziellinie vor Rodney Bay, dem Hafen der
Karibikinsel St. Lucia. Vorausgesetzt natürlich, dass wir nicht zuvor noch
gegen einen herrenlos treibenden Container fahren. Den würden wir nicht sehen,
dem würden wir nicht ausweichen können, selbst wenn er warngelb gestrichen
wäre. Wir sehen nämlich gar nichts. Nur die Erfahrung sagt uns, dass zwischen
dem dunklen Oben und dem noch schwärzeren Darunter irgendwo ein Horizont ist
und auf dem Horizont unser Ziel.
Den Kurs dahin zu finden
und zu halten, ist heute Nacht das Problem. Der Steuermann, im Augenblick ist
es Arne, hat lediglich zwei elektronische Anzeigen, um sich zu orientieren. Zum
einen ist da der Kompass, eine digitale Anzeige mit stark gedimmten rotem
Licht. Die gesteuerte Kurszahl ist nicht eine einzige Sekunde gleich. Sie
springt rauf und runter, mal in Zweier-, Fünfer-, dann in Siebener- oder
Zehnerschritten, eine Zahl, die in der Nähe des gewünschten Kurse liegt, ist
kaum je auszumachen. Arne soll 265 Grad steuern. Das tut er aber nicht. Das
kann er auch gar nicht. Der Wind, eben bläst er mit 28 Knoten (7 Beaufort),
drückt die Luv hierhin, die Welle das Heck dorthin; in jedem Augenblick wirken
diese beiden Kräfte unvorhersehbar - mal zerren sie als Verbündete beide nach
backbord, dann die eine hierhin, die andere Gott-weiß-wohin.
Zusätzlich zum Kompass
leuchtet schwach die Windlupe, ein handtellergroßes Display, auf dem ein Pfeil
verrät, woher der Wind kommt und wie stark er ist. Das Instrument zeigt nicht
den wahren Wind an sondern den, der an Bord spürbar ist und wirksam wird. Fährt
die Luv etwa, wie eben gerade, mit acht Knoten fast vor dem Wind, reduziert der
eigene Speed die gefühlte Geschwindigkeit des Windes auf nur noch 20 Knoten;
das sind erträgliche vier bis fünf Beaufort.
Aber nur so lange Arne
auf Kurs bleibt, also „Platt vorm Laken“. Ändert sich der Kurs plötzlich, was
eben gerade wieder geschieht, um 20 Grad, trifft der scheinbare Wind sofort
schneller auf die Segel. Und kräftiger. Die Luv nimmt auch Fahrt auf, jetzt
sind es zehn Knoten, und sie schießt noch weitere 15 Grad aus dem Kurs. Sie
segelt jetzt mit dem Wind von der Seite, die vollen sieben Bft. hauen auf das
Schiff. Scheinbar und wahr sind kurzfristig wieder eins. Arne muss hart
gegensteuern, mit seiner ganzen Kraft. Das Schiff läuft wieder vor dem Wind,
der Druck im Rigg läßt nach. Dann geht es mit der nächsten Welle, mit der
nächsten Boe, von vorn los. Im Sekundentakt.
Ruhigen Kurs zu halten
unter solchen Bedingungen ist so gut wie unmöglich. Instrumentenblindflug,
nervenaufreibend, unangenehm und sehr anstrengend.
Die Lösung des Problems
ist die Verkleinerung der Segel, reffen. So wird entschieden. So wird’s
gemacht. Die Luv liegt ruhiger, Arne kann den Kurs fast halten. Und auf einmal
lösen sich die dichten Wolken auf, gleichsam als wollten sie uns belohnen. Der
Steuermann wählt einen geeigneten Stern in Fahrtrichtung und richtet seinen
Kurs danach aus. Genau, gerade entspannt.
Bleibt die Sache mit den
treibenden Containern. Die verdrängen wir jetzt mal. Wir genießen unsere letzte
Nacht auf See.
Heiko Tornow