Sunrise - Tag 10 & 11
Sunrise 01.12.2015
Tag 10
Der Tag beginnt mit einem Mondaufgang, wie er wohl nur auf dem Ozean zu erleben ist.
Scheinbar brennt ein schnell zunehmendes Feuer am Horizont, dass in weniger als 5 Minuten dann als rasch aufsteigende feuerorangefarbene Mondscheibe erkennbar wird.
Am späten Nachmittag, nach Wechsel des Köders, beißt wenig später unser 2. Fisch an. Wieder ein wunderschöner, blaugrün, goldener Mahi Mahi. 60 cm. Für dich, Lars.
Es ist immer ein fragiler Zustand der Ambivalenz: Zwischen fiebriger, atavistischer Jagdleidenschaft und zunehmendem Mitleid mit dem Ende einer immer einzigartigen Kreatur.
Wenig später der vorläufige Höhepunkt unserer Atlantiküberquerung. Wir schließen langsam auf ein vor uns segelndes Schiff auf, bei dem im Näherkommen, immer mehr Segel sichtbar werden. Ein Rahsegler mitten auf dem Ozean? Ja! Es ist die Roald Amundsen. Ein deutscher 2 Mast Rahsegler mit langem Klüverbaum unter voller Besegelung.
Wir nehmen über UKW Kontakt auf. Die Roald Amundsen, auf dem Weg von Teneriffa nach Costa Rica, via Martinique, fragt uns nach uraltem seemännischem Brauch ob wir irgendeine Form von Hilfe benötigen. Einzig ein zur weiteren Stabilisierung unseres Spibaumes hilfreiches Rohr haben sie leider nicht an Bord.
Als wir gleichauf liegen, etwa 15 Meter auseinander, werden wir von der Mannschaft und den etwa 30 jugendlichen MitseglerInnen mit einer umwerfenden Begrüßung willkommen geheißen. Entlang des 150 Fuß langen Schiffes, trommeln 60 Hände rhythmisch, mit steigerndem lautstarkem, ooohh, oooooohh, oooooohhhh, kräftig und ausdauernd auf die Bordwand.
Wir erwidern die Begrüßung mit unserer beliebten Las Palmas Abschieds La Ola Welle auf unserem Backborddeck, die auch drüben auf der Amundsen wieder gut ankommt.
Weil wir auf dem Atlantik sehr beliebt sind fährt die Amundsen noch ein kleines Show Manöver für uns.
Sie setzen ihr großes Schlauchboot im welligen Wasser aus und fahren mit 4 "Schülern" an unsere Backbordseite heran. Ein kleiner Semanns/frau small talk beginnt. Wir emotionalisieren diese gefühlsmäßig dichte Begegnung mit "Sailing" von Rod Stewart über den Außenlautsprecher, so laut es wir und der Ozean vertragen. Ergreifend!
Auf der Amundsen haben offensichtlich die Frauen das Sagen. Alle Kommandos werden von ihnen angesagt. Auch auf dem Schlauchboot. Es wirkt sicher, souverän und selbstbewußt, wie bei dir Alena.
In diesen 45 Minuten spüren wir wie Seefahrt verbindet und was sie bewirken kann, wenn sie so betrieben wird: Als gemeinsames überwältigendes Naturerlebnis, friedlich Menschen- und Nationenverbindend. Wie mit der Roald Amundsen und der ARC.
Sunrise 02.12.2015
Tag 11
In der 2. Nachtwache landet ein fliegender Fisch erstmalig im Cockpit der Sunrise.Schwarzdunkelblau oben, leuchtendblau marmoriert an der Unterseite, mit flügelartig ausgebreiteten Flossen. Wir geben den zuckenden Fisch wieder zurück ins Meer.
Eine große Welle drückt das Schiff aus dem Kurs, die gesamte Windlast geht auf den Bullenstander, ein Teil auf den Baumniederholer. Die Öse des Niederholers bricht knallend. Auch unser ganzer Stolz, der reparierte Spibaum, verbiegt sich, bricht aber zum Glück nicht.
Wieder stehen Reparaturen an. Der Baumniederholer wird durch das klassische Prinzip ersetzt. Eine Leine über mehrere Taljen zwischen Großmast und Großbaum.
In der Mittagszeit erreicht uns eine pan pan Meldung. Dem Mitglied einer 120 Seemeilen entfernten Yacht hat sich an der Hand schwer verletzt. Gefragt wird nach einem Arzt an Bord und einer ärztlichen Notfallversorgung. Wir sind lange ziemlich bedrückt, da wir für den schlimm Betroffenen nichts tun können und hoffen, dass es gelingt bei den erreichbaren Yachten oder der Großschifffahrt in der Nähe Hilfe zu bekommen.
Wir selbst sind bisher von dieser Art Verletzungen verschont geblieben. Abgesehen von zahlreichen Prellungen, blutenden Hautabschürfungen und Schnitten. Keine Sorge Annelene.
Ein Moment der Unachtsamkeit, bei einer der vielen riskanten Situationen auf See, vor allem auf einer Langstrecke, kann fatale Folgen haben.
In einer Funkrunde hat unser Skipper von der in der Nähe fahrenden "Blew Beyond" die Information bekommen, sie hätten einen 2. Spibaum an Bord, den sie uns ausleihen könnten, bis St. Lucia.
Nach Kurswechsel und zusätzlicher Fahrt unter Motor, erreichen wir das Schiff. Eine schöne Oyster 49 Pilot House, unter englischer Flagge. Unter Skipper James Wilkinson mit herrlichem Englisch. Er setzt in allerbester britischer Gelassenheit seinen Ersatz Spibaum an 2 Fendern seitlich ins Wasser. Nach einem klassischen Aufschiesser nehmen wir kurz darauf den schwimmenden Spibaum an Bord. Bevor wir ihn setzen, wird erneut die neu eingerissene gepatchte Stelle im Großsegel wieder vernäht. Danach ziehen wir den neuen englischen Spibaum auf. Änderungsanpassungen sind unnötig. Funktioniert hervorragend.
Bergfest 19:03
Es ist soweit. Die halbe Strecke nach St. Lucia. 1350 Seemeilen. Länger als erwartet, bedingt durch den Verlust an speed während der Reparaturen.
Jeder von uns spürt zunehmend die lange Abwesenheit von unseren Frauen, Kindern und Freunden zu Hause. Aber jede weitere Seemeile bringt uns näher zu euch.