Sunrise - Tag 19
Sunrise 10.12.2015
Tag 19
1. Teil
Der Blick in den nächtlichen Sternenhimmel ist ein Blick in die sagenumwobenen Sternbilder Herkules, Orion, Kentaur, Pegasus, Perseus, Andromeda, ...
Wir versinken in der Unendlichkeit. Sinnen dem Urknall nach, der Ausdehnung des Universums und ziehen mit den Sternschnuppen, die mit feiner Leuchtspur über das Firmament eilen und dann überladen mit den Wünschen der Menschen, in einem der Sternbilder mit einem letzten Aufblitzen für immer verglühen.
Die Tage werden zunehmend karibischer. Die Sonne brennt vom wenig bewölkten Himmel, das Meer wird noch eine Spur lichtblauer. Ein ereignisloser Tag dehnt die Stunden. Wenn da nicht das Schiff wäre. Seit 2 Tagen machen uns die Versorgerbatterien zu schaffen. Wir stellen einen rapiden Leistungsabfall fest! Der auch durch veränderte Batterieschaltung und erneutes Laden über den laufenden Motor nicht zu beheben ist. Der Fehler ist trotz langwieriger Suche nicht festzustellen. Möglicherweise sind die Batterien defekt.
Wir reduzieren den Stromverbrauch auf das Allernötigste. In der Nacht sind das die Kompassbeleuchtung und die Positionslichter.
Am Nachmittag liegen wir, gut sichtbar im AIS, auf Kollisionskurs mit einem riesigen Frachter, der "Rio Aranca", 899 Fuß. Er fragt uns über Funk nach unseren Kursabsichten. Wir teilen ihm mit, dass wir Kurs und Geschwindigkeit beibehalten. Der Käpt'n hat vermutlich einen Segelschein und teilt uns mit, dass er uns vorfahrtsberechtigtem Segler ausweichen und hinter unserem Heck durchgehen wird. Vermutlich hat er nur VW's an Bord und will keinen weiteren Ärger haben.
In den ereignislosen Stunden bietet es sich an, mal wieder über eine unserer Bordroutinen zu berichten.
Bordtoilette:
Die achtere Bordtoilette wird am häufigsten benutzt. Sie ist für die Nachtwachen am schnellsten zu erreichen. Eine Toilette mit einem Größenzuschnitt von 1,20 in der Längsrichtung. Maximale Breite in Höhe des Pump WC's , 80 cm, dann konisch verjüngend auf 60 cm in der Mitte und 40 cm im letzten Drittel. Eine Fläche, die in keiner Kita genehmigt würde. Im Bereich der 60 cm befindet sich außenbordseitig eine schmale, 30 x 30 Klappe hinter der sich weit unten die Seeventile befinden. Darüber Reinigungsmittel, Toipapier, benutztes Toipapier und die Klobürste.
Für Männer in der 90 kg Klasse, in voller Montur - Rettungsweste, Life Belt, Seejacke - eine Mission Impossible. Tür auf, Klappe zu den Seeventilen auf, beherzter Sprung hinein. Sofort in die Knie , in die Startposition eines 100 Meter Läufers gehen, Rücken zum Klo, linken Arm in die vorher geöffnete Klappe mit den Seeventilen strecken, dabei das Schulterblatt leicht drehen und nach links kippen, weiter nach den Seeventilen tasten. Diese werden erreicht, wenn die Klobürste sanft das Ohr kitzelt und der Sammelbeutel mit dem benutzten Toilettenpapier sich zärtlich an die Wange schmiegt und das vertraute Blubbern und Gasen zu hören und riechen ist. Im Boot dazu passend Helene Fischer: "Atemlos durch die Nacht". ( Das benutzte Toilettenpapier darf nicht in das Pump WC, sondern wird nach Benutzung akkurat gefaltet, in einem Extra Beutel an der besagten Tür aufbewahrt und bei Vollladung im Atlantik versenkt, ohne Plastiktüte). Wenn bis dahin nicht vergessen wurde, was man eigentlich vorhatte, nun die Seeventile öffnen, langsam aus der Hocke kommen und das Gesäß vorsichtig auf das Pumpklo schieben. Vorher besser Hose runter. Nicht vergessen, wir befinden uns in einem in alle Richtungen taumelnden Fahrstuhl. Dann verkeilen, Spannung aufbauen, einen prüfenden Kontrollblick in den 60 cm entfernten großen Spiegel werfen und pressen. Gleichzeitig mit der linken Hand die Pumpe bedienen und den Hebel ständig umlegen zum Abpumpen und Seewasser einspülen. Hier darf man keine Zeit verlieren. Das aufsteigende Schmutzwasser beschädigt sonst lebenswichtige Körperteile. Und immer wieder prüfend in den Spiegel schauen. Wenn der Vorgang irgendwann beendet ist - Hilfe rufen. Ein Crew Mitglied zieht einen dann mit einem kräftigen Ruck vom Topf. Und dann. Alles Saubermachen. Seeventile schließen.
Tag 19
2 . Teil
Der letzte Tag, die letzten Stunden. Der Atlantik zeigt uns noch einmal seinen schweren linken Haken. Z. Teil mehr als 5 m hohe Wellengebirge. Surfen die Wellen mit 10 kn, Wind zunehmend, großer Ruderdruck. Müssen die Genua einholen. Dann 20:10 deutscher Zeit, schemenhaft, Martinique am Horizont. Land nach 18 Tagen ununterbrochen auf See. 1 Stunde später ist als graues Band endlich die Nordküste von St. Lucia zu sehen. Noch 3 Stunden. Fast unwirklich zu realisieren , dass wir das Ziel erreicht haben. Werden von zahlreichen Seevögeln umkreist, die immer wieder ins Wasser stoßen, Fische jagen. In pechschwarzer Nacht, unter Segeln die Ziellinie passiert. 01:10 deutsche Zeit. Begrüßung über ein Beiboot mit Lautsprecher: " You crossed the atlantic! Congratulations." Irgendwie schon ne stramme Leistung.
In der Marina festgemacht. Begrüßungskorb der ARC. Planters Punch, 1 Flasche St. Lucia Rum, Bananen, Ananas, Limonen. Die Anspannung läßt nach. Wir sind unendlich erleichtert.