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Angkor - Tag 14: Mehr Bruch



Es hämmert an meine Tür: „Daniel, Daniel, come, we have a problem with the sail“. Ich schrecke aus dem Tiefschlaf hoch, ziehe mir schnell eine Hose an und schnappe mir die Schwimmweste neben meinem Bett. Der Spinnaker ist wieder abgerissen, es ist dunkle Nacht, alle sind an Deck, manche ohne Hose. Das riesige Segel hat sich unterm Boot festgehängt und hinterm Boot treibt eine Fahne aus Leinen und Segel. Ich stehe ganz hinten, im Schein meiner Lampe sehe ich verschwommen, dass alles gut einen Meter unter Wasser ist und vielleicht dreißig Meter hinter das Boot reicht. Es muss alles schnell gehen, und ich komme so von hier oben an das Segel einfach nicht ran. In das dunkle Wasser zu springen sieht nicht einladend aus und das Boot macht noch viel Fahrt, aber ich muss nur einen Meter tauchen und mich dann an den Leinen und dem Segel festhalten. Ich hab keine Zeit, springe rein ohne überhaupt daran zu denken, ob bei dem fahrenden Boot meine Kraft reichen wird, mich festzuhalten. Aber erstmal habe ich andere Schwierigkeiten. Der Sprung sollte mir genug Schwung geben, um die Leinen tauchend zu erreichen. Ich springe also, komme aber an die Leine nicht ran, verpasse sie knapp und sehe wie alles unter mir durchrauscht. Ich weiß, dass ich nicht viel Zeit habe, ich muss die Leine erwischen, bevor das alles unter mir durchzieht und ich alleine bleibe. In meinem Unterbewusstsein ist sicher noch die Geschichte, die vor zwei Tagen passierte: Ein Pärchen segelt und - wohl ähnlich wie bei uns - fällt ein Segel ins Wasser, wickelt sich auch noch um den Propeller. Der Mann geht beim Bergen des Segels über Bord, die Frau kann mit dem manövrierunfähigen Boot nicht helfen. Sie lässt sich später vom Hubschrauber bergen, die Yacht treibt aufgegeben bei St. Lucia. Dazu treibt dort das Segel und es treibt der Mann, nachdem zwei Tage später noch immer vergeblich gesucht wird.

Meine Chancen mitten im Atlantik werden nicht besser sein, mir ist also klar, dass ich die verdammte Leine erwischen MUSS. Aber sie ist zu tief.

Schweißgebadet wache ich auf. Ich bin im Bett und nicht im Wasser. Was aber ist passiert? Es ist alles passiert wie ich es geträumt habe, nur bin ich natürlich nicht ins Wasser gesprungen. Stattdessen habe ich hinten auf dem Boot gekniet und versucht, dass Segel hereinzuholen. Statt zu tauchen hatte ich einen Bootshaken und außerdem war ich mit Sicherheitsgurt am Boot gesichert. Gleichwohl kamen von hinten Wellen ins Boot, so dass ich bis zur Hüfte nass war. Wie schon am ersten Tag ist das Spinnakerfall gerissen, diesmal wohl durchgescheurt, da es ein neues Fall und quasi unreißbar ist. Es sind recht dramatische Momente. Alle stehen an der Reling und reißen an dem Spinnaker, um ihn aus dem Wasser zu bekommen. Teilweise ist er auch aus dem Wasser und fängt Wind. Der Spinnaker kann leicht eine Kraft von 500 PS entfalten und fünf Leute, die den festhalten ändern nichts daran, dass der Spi macht, was er will, wenn er richtig Wind bekommt. Dann fliegen auch fünf Leute zugleich über Bord. Man darf nie hinter das Segel geraten, weil schon wenige qm Segel im Wind reichen einen über Bord zu drücken und ansonsten ist der Trick, ihn reinzuholen, ohne dass er Wind bekommt. Er muss die ganze Zeit flachliegen. Also hält man den irgendwie fest, sitzt gleichzeitig drauf und zieht. Und muss bereit sein, um im Notfall alles loszulassen und das Segel fliegen zu lassen, ohne dass es einen mitnimmt.

Wir haben das Segel einfach nicht aus dem Wasser bekommen. Es hat sich unter dem Boot verhängt. Wir haben dann den Plan geändert und nur die hinterste Leine festgemacht und alle anderen Leinen ins Wasser geworfen. Im Wesentlichen funktionierte das. Das ganze Paket aus Segel und Leinen trieb neben und unter dem Boot durch und bildete eine Fahne hinterm Boot. Eine Leine hing jedoch im Ruder. Mit etwas probieren löste die Leine sich aber ziemlich problemlos, und wir konnten den ganzen Spi reinholen. Wir haben ihn bis in den Salon gezogen, was ein Fehler war, weil dabei so viel Salzwasser im Salon schwamm, dass es auf unsere Batterien regnete, die unterm Salonboden verbaut sind. Erstaunlicherweise gab es keinen Kurzschluss, und wir lassen die Batterien derzeit trocknen. Wir dort ein Kurzschluss aussieht, wage ich mir nicht vorzustellen. Die Strommenge ist erheblich und dürfte leicht zehn Autobatterien entsprechen.

Wir haben jetzt beide Fallen abgerissen, die bis zur Mastspitze gehen. Ein neues Fall während der Nacht einzuziehen können wir nicht versuchen – tagsüber wird es schon sehr schwierig. Wenn dies nicht gelingt, können wir den Spi nicht mehr verwenden und werden sehr viel Tempo verlieren. Wir rechneten eigentlich mit einer Ankunft in fünf Tagen. Ohne Spinnaker werden das leicht sieben.

Es ist schön festzustellen, dass alle intensiv mitarbeiten, es keine Schuldzuweisungen gibt und auch schnell wieder Scherze gemacht werden. Die ganze Segelbergung hat prima geklappt und es sind gute Momente für die Mannschaft. Problem schnell und erfolgreich in guter Stimmung gelöst, was will man mehr. Eigentlich kein Grund für Alpträume.

Daniel Debes, S/Y Angkor, 912 Meilen vor St. Lucia, 02.12.2017



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