Angkor - Tag 15: Ups and Downs
Gestern lag ja zum zweiten Mal der Spinnaker im Wasser. Morgens um 4:30. Nachdem der gerettet war und alle sich etwas ausgeschlafen hatten, war großes Palaver angesagt. Ohne den Spinnaker würden wir wohl noch acht statt sechs Tage brauchen. Natürlich starker Frust für uns, die wir angefangen hatten uns schon am Ziel zu sehen und natürlich das Ende jeglicher Wettbewerbsambitionen. Nach Lage der Dinge hatten wir kein Fall mehr an der Mastspitze, um dort den Spinnaker anzubringen. Matt könnte zum zweiten Mal in die Mastspitze und versuchen, ein neues Fall einzufädeln und dort nach unten zu drücken, wo wir es dann irgendwo aus dem Mast wieder ausfädeln müssen. Oder das ganze alternativ mit erstmal einer dünnen Leine, an der man dann das Fall durchzieht. Das Problem bei der Sache ist der Seegang, kurze, ruppige Wellen aus allen Richtungen. Die Mastspitze pendelt und ruckt in meterlangen Bahnen durch den Himmel. Die Gefahr ist weniger, dass er dabei abstürzt, da er gut gesichert wird. Aber wenn er den Mast in 30m Höhe loslässt, kann er zwei Meter irgendwo hin fliegen und der Mast pendelt woanders hin und wenn sich beide dann irgendwann irgendwo wieder treffen, würde Matt ziemlich unkontrolliert gegen den Mast knallen. Es mangelt auch an sonstigen Freiwilligen, alle halten es für zu gefährlich. Dazu kommt noch, dass die Erfolgsaussichten auch klein sind.
Wir versuchen also uns im Verlauf des weiteren Tages an den Gedanken zu gewöhnen, dass alle an uns vorbei segeln und wir als letztes in die Rodney Bay einlaufen. Etwas tröstlich ist, dass wir sehr guten Wind haben und auch mit unserer schwachen Besegelung 6 Knoten machen. Aber wenn wir den Spinnaker hätten, würden wir zehn machen...aber besser den Gedanken gleich wieder verdrängen.
Kurz von Sonnenuntergang kommt dann Hektik auf. Matt hat sich doch entschlossen, es zu riskieren. Nach langer Überlegung und weiteren Diskussionen über jeden Handgriff, um die Zeit dort oben möglichst minimal zu halten, steht dann der Plan. Matt wird ein Bleigewicht mit Angelleine in den Mast fallen lassen. Am anderen Ende ist schon das Fall angeknotet. Wenn das Gewicht unten angekommen ist, müssen wir die Angelleine rausziehen und er wird oben das Fall einstecken und wir ziehen es dann an der Angelleine durch. Nach unserem Plan wird das alles nur zwei Minuten dauern – höchstens. Nachdem letztes Mal aus 15m Höhe das Funkgerät auf Deck knallte, ist Matt diesmal ohne unterwegs. Die Kommunikation ist schwierig. Knut hält das Boot auf Kurs und wiederholt alle Befehle von Matt, denn er hört ihn am besten. Krystyna und Axel sind dicht beieinander. Krystyna sichert und Axel winscht Matt hoch, was auch ziemlich laut ist, also hören die beiden nichts. Ich bin 4 Meter darüber am Mast, um die Angelleine dort durch ein Loch zu ziehen, wenn sie denn vorbei kommt und höre manches und manches nicht.
Es zieht sich natürlich alles in die Länge, man versteht kaum was, aber irgendwann ist Matt oben und wirft das Gewicht ein. Ich höre auch was, sehe aber nichts und was ich höre, scheint viele Meter über mir. Vermutlich hat sich – Alptraum dieser Methode – das Gewicht weiter oben verfangen. Matt versucht die Leine wieder hochzuholen. Er hat maximal eine Hand, weil er beide Beine und mindestens eine Hand braucht, um sich am Mast festzuklammern. Zweiter Versuch, es zischt, klöttert und BANG – das Gewicht schlägt im Mastfuss innen auf. Sehr gut! Das Gewicht ist durch, nur muss ich jetzt noch die Leine bekommen. Ich klammere mich meinerseits am Mast fest, brauche jetzt eine Lampe, weil es so dunkel geworden ist und angele mit einer Drahtschlinge durch das Loch, wo das Fall wieder aus dem Mast muss. Auch das zieht sich hin und der arme Matt hängt oben am Mast und kann nichts tun. Nach quälenden Minuten habe ich endlich die Schnur rausgeangelt und kann anfangen zu ziehen. Matt führt dann das Fall in die Mastspitze und von nun an klappt alles prima. Matt kommt heil runter und das Fall ist komplett in den Mast eingezogen.
Den Spinnaker tatsächlich zu hissen, verschieben wir auf den nächsten Morgen. Es ist bereits ganz dunkel, aber euphorische Stimmung - die gefährliche Situation und die ganze Anspannung fällt ab und letztlich war es ein voller Erfolg.
Also steht dann heute das Hissen des Spinnakers an. Einiges an Vorbereitungsarbeit, aber alles sieht gut aus und der Spinnaker wird hochgezogen. Dann öffnen wir den Spinnaker, er öffnet sich, alles sieht prima aus, er steht in voller Pracht vor dem Boot. Leider jetzt mit Fenster, wie ich mit Schrecken entdecke. Genau in der Mitte ein Loch, dreieckiger Ausriss, vielleicht 40 cm Seitenlänge. Wahrscheinlich vom Propeller unter Wasser.
Die Gefahr ist, dass dieses Loch jetzt in alle Richtungen ausreißt, also muss der Spi schnellstmöglich wieder runter. Dazu wird ein Sack von oben über den Spi gezogen – an einer Leine. Matt und ich ziehen an der Leine, es passiert nichts. Ein Blick nach oben klärt auch warum: Die Leine hat sich mit einer Schlaufe und einem Knoten um den Radarreflektor gewickelt. Das ist eine 70cm lange Röhre und sie hängt in 7 Meter Höhe. Flüche in vielen Sprachen. Wie zum Teufel ist da dieser perfekte Knoten entstanden? Wir haben auch keine Sicherungsleine mehr um jemanden hochzuziehen – alle sind zum Segeln in Betrieb. Axel versucht, ohne Sicherung am Mast hoch zu kommen. Das klappt aber nicht ganz, es ist zu hoch. Matt und ich ziehen und der Reflektor bewegt sich etwas. Vielleicht bekommen wir ihn auf 6 Meter? Etwas dichter an Axel? Wir reißen mit alle Kraft dran und der Reflektor bricht am oberen Ende ab. Das gefällt uns, wir suchen eine sichere Position, Axel geht am Mast in Deckung und nun ist das Ziel, den Reflektor ganz abzureißen, um die Leine frei zu bekommen. Matt und ich hängen uns nochmal in die Leine und tatsächlich reißt der Reflektor ab, fliegt an Axel vorbei, wir purzeln durcheinander und Matt schafft es, sich seitlich wegzurollen, während ich auf dem Rücken liegend den Reflektor auf mich zufliegen sehe. Ich schaffe es aber eine Hand frei zu bekommen und den Reflektor wegzuschlagen, bevor er mich trifft. Bei der Gelegenheit stellt sich heraus, dass der sehr leicht ist – war also weniger gefährlich, als es aussah. Kopftreffer muss trotzdem nicht sein.
Wir bergen den Spinnaker. War die Aktion mit Matt im Mast umsonst? Nein! Erstens bestehen Chancen, den Spi zu reparieren. Zweitens haben wir jetzt an dem Fall das Code 0 Segel gesetzt – ein großes Vorsegel, was uns auch schon bedeutend schneller gemacht hat, fast acht Knoten laufen wir jetzt. Das wäre ohne das Fall auch nicht möglich gewesen.
Wir hatten uns auf ganz entspannte, schnelle Tage eingestellt. Jetzt haben wir viel zu tun, viel zu überlegen und sind dabei viel langsamer als gedacht. So ist Segeln wohl und ein bisschen Abenteuer gehört ja auch dazu!
Und der Blogeintrag ist gerade rechtzeitig fertig! Krystynas Yoga class beginnt um 16 Uhr und seit einigen Tagen machen wir alle mit. Sie macht das großartig und etwas Bewegung tut allen gut.
Daniel Debes, S/Y Angkor, 711 Meilen vor St. Lucia, 03.12.2017